"Die aktuelle Lage des medizinischen Personals in der Türkei"
- Aydın TEMİZ
- 26. Juni
- 3 Min. Lesezeit
Wenn die letzte Krankenschwester gekündigt hat,
wenn der letzte Notfallsanitäter in den privaten Sektor gewechselt ist,
wenn der letzte Arzt ins Ausland gegangen ist –
wird der primitive Mensch begreifen,dass medizinisches Personal keine Prügelobjekte sind!“
— Ein türkisches Sprichwort
Neulich bin ich beim Scrollen auf Twitter über diesen Beitrag eines Arztes gestolpert. Ich habe ihn wortwörtlich übernommen. Es scheint, als fasse er das türkische Gesundheitssystem vollständig zusammen. Das Tragische daran ist, dass dieser Beitrag von einem Arzt stammt. Um einen Arzt „reifen“ zu lassen, muss der Staat mindestens 30 Jahre in diese Person investieren. Und gerade wenn man die Früchte dieser Investition zu ernten beginnt, fängt unsere Gesellschaft an, den Baum zu bewerfen. Offenbar wenden wir das Sprichwort „Ein Baum, der Früchte trägt, wird mit Steinen beworfen“ in der Praxis viel zu schnell an. Dabei könnten diese Früchte auch behutsam gepflückt werden – ohne zu verletzen, ohne zu zerstören. Aber ich glaube, unser Bildungsniveau reicht leider nicht aus, um das zu verstehen.
Deshalb sehen wir täglich in den Nachrichten:Ein Arzt wird verprügelt.Eine Krankenschwester wird beschimpft.Ein Sanitäter wird von Angehörigen am Einsatzort angegriffen.
Unsere Gesellschaft sollte sich ernsthaft fragen:Warum zwingen wir einen Arzt dazu, so etwas öffentlich zu posten?
Oder warum lernen 8.000–10.000 Ärztinnen und Ärzte derzeit Deutsch?Warum kündigen unsere Pflegekräfte massenhaft ihren Staatsdienst und denken darüber nach, im Ausland zu arbeiten?Warum geht jemand, der vier Jahre studiert hat, sein Examen abgelegt hat und verbeamtet ist, dieses Risiko ein?Warum begibt sich eine Pflegekraft freiwillig in ein unbekanntes Land, in eine fremde Kultur – fernab von Familie und Heimat?
Ich arbeite seit Jahren mit medizinischem Fachpersonal, mit Ärzt:innen und Pflegekräften. Ich höre täglich stundenlang ihre Geschichten. Jeder, dem man die Möglichkeit gibt zu reden, hat viel auf dem Herzen.Sie klagen über:
Überlastung
Respektloses Verhalten der Patienten
Niedrige Löhne, die ihrer Leistung nicht gerecht werden
Zukunftsängste
Ausbeutung
Ungerechtigkeit
Menschen, deren Beruf es ist, Leben zu retten, kämpfen selbst darum, leben zu können. Und sie haben Recht!
Am Ende stellt sich heraus:Die besten Köpfe, die jungen, qualifizierten Fachkräfte unseres Landes –genau in dem Moment, wo das Leben beginnen soll,stehen sie vor der Frage:
Medizin oder Deutschkurs?
Staatsdienst oder Deutschland?
Heimat oder Auswanderung?
Wie Ibn Khaldun sagte:„Die Geografie ist das Schicksal.“
Ich füge hinzu:Wenn du dein Schicksal ändern willst, musst du deine Geografie ändern.
Keiner will das kurze Leben, das uns gegeben wurde, unter ständigem Druck und Stress verbringen.Unsere medizinischen Fachkräfte suchen nach einem Ort, an dem sie würdevoll leben können.Sie denken an ihre Zukunft, die Zukunft ihrer Kinder, ihre Ausbildung – sie sind gezwungen, zu planen.Und genau deshalb suchen so viele nach einem Ausweg.
Für viele beginnt dieser Weg mit einem einjährigen Deutschkurs.
Ich führe fast täglich Gespräche mit mindestens 100 Pflegekräften, Ärzt:innen oder medizinischem Personal. Ich versuche, ihnen Orientierung zu geben, ihnen einen Weg zu zeigen. Ich erkläre alles Schritt für Schritt.Manchmal verbringe ich den halben Tag am Telefon. Nach jedem Unterricht habe ich mindestens 15 verpasste Anrufe.
Die Situation ist in Wahrheit noch viel dramatischer, aber ich denke, es ist noch nicht an der Zeit, alles auszusprechen.Ich bin traurig, ja –aber gleichzeitig auch glücklich, weil ich mit jeder Pflegekraft, die ihren Weg geht, ein kleines Zeichen, ein Komma auf ihrem Lebensweg hinterlassen darf. Es macht uns glücklich zu sehen, wie sie es schaffen, wie sie sich freuen.
Ich denke, dieser Zustand wird noch eine Weile so weitergehen.Unsere Pflegekräfte und Ärzt:innen werden weiterhin ohne Plan und Struktur Deutsch lernen,Touristenführer oder „Deutschsprachige Freunde“ werden ihnen unter dem Vorwand, „Deutschunterricht“ zu geben, ihre ohnehin geringe Motivation rauben.Doch einige wenige werden es schaffen –sie werden Deutschland erreichen – das befreite Gebiet.
Hinweis:In meinem nächsten Beitrag erkläre ich,
wie man effektiv Deutsch lernt,
welche Art von Kursen sinnvoll sind,
wie man Zeitverluste vermeidet
und wie man den Prozess effizient gestaltet.
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